Installativer Raum mit Gartenhöhle, Hasen und Co. | Skulptur, O-Ton, Film

Ein CaBri-Projekt: Brigitte Kottwitz, Carolyn Krüger

Vernissage fr. 20. märz 2009 um 20.00 uhr, Ausstellung 20. – 29.03.2009

Zur Ausstellungsreihe „ZU HAUSE“ geben CaBri Einblick in vier Jahrzehnte Datsche am See. Eine Sprachcollage diverser Gartengäste erweckt ein imaginäres Bild des Ortes. Eine Gartenhöhlen-Installation mit Fotos, Worten, Filmen und skulpturalen Reminiszenzen an den Protagonisten, dem Karnickel. Kaninchen sind dankbare Kulturfolger des Menschen, sie profitieren in jeder Hinsicht und vermehren sich offenbar uneingeschränkt.

Der Ort steht im Spannungsfeld zwischen Ruhe und Anspannung, Geborgenheit und Unheimlichkeit, Natur und Hightech. Ein Ort der Kommunikation, Arbeit und dem Nicht-Alltag.

ausstellungsraum EULENGASSE verein zur förderung zeitgenössischer kunst und kultur e.v. eulengasse 65 | 60385 frankfurt am main | di-fr 11-15 uhr | sa-so 15-19 uhr nach vereinbarung
www.eulengasse.de

Die Datsche

Die Datsche im Ausstellungsraum Eulengasse in Form eines Gewächshauses besetzt fast den ganzen Raum. Besucher betreten den Raum durch eine Tür, auf der die gleiche Warnung steht, wie auf dem Schild am Gartentor:

„Vorsicht Kampfhase! Unser Hase kämpft mit seinem Übergewicht!“

Die Schaufensterscheibe wurde mit grüner Folie beklebt, mit Einblick in den Raum durch ein Loch. Innerhalb des Gartenhauses befinden sich Hasen und Kaninchen in allen Größen. Karnickel sind dankbare Kulturfolger des Menschen, sie profitieren in jeder Hinsicht und vermehren sich offenbar uneingeschränkt. Er gilt daher als Symbol der Fruchtbarkeit, der Umwandlung und des Neubeginns. Mit der Datsche ging ich einen Friedenspakt mit dem Hasen ein. Die Hasenskulpturen fertige ich mit transparenten Wegwerfmaterialien an, mit Netzen, Plastikfolien, Schredderpapier. Die visuelle Durchlässigkeit der Form entspricht für mich einer Auflösung des ständigen Problems. Carolyn Krügers Comicfilm beschäftigt sich wiederum auf humorvolle Weise mit Hase und Karnickel. Unsere gemeinsame Videoinstallation „Gartenhöhle“ zeigt das Gartenhaus aus labyrinthischer verwinkelter Sicht, symptomatisch zu unseren Lebensverwicklungen vor Ort und geht so eine Verbindung zu den Karnickelbauten ein. Während der Ausstellung läuft eine 4-Kanal Klanginstallation (aus jeder Ecke) mit Aussagen von 32 BesucherInnen.

Hasen, Film, 1:30 Min., Carolyn Krüger, 2009

Hütte, Film, CaBri, 2012

Seit über 40 Jahren fahre ich zu meiner Datsche, an ein frei liegendes Gartengrundstück mit Kiesweiher, anfänglich mit meiner Familie, später mit vielen Freunden. Das Gelände liegt linksrheinisch in einer Altrheinebene in der Nähe des Naturschutzgebiets Kühkopf und gehört zur Gemeinde Eich im Kreis Alzey bei Worms. Das umliegende Gebiet mit dem versickernden Altrheinarm dient als Trinkwasserreservoir und Vogelschutzgebiet. Das Grundstück ist von einem Kiesbauern gepachtet und umfasst neben einem Holzhaus mit Zimmer, Küche und Veranda ein Toilettenhäuschen, einen Schuppen, Bäume, die Wiese mit Blumenbeeten, ein Boot und einen Raku-Brennofen. Am Weiher gibt es noch zwei weitere Gartennachbarn.

Anfänglich nutzte mein Großvater den See für sein Hobby, dem Angelsport, während die Familie sich am Wochenende erholte und im Teich badete. In späteren Jahren produzierte ich hier meine Keramik mit Hilfe des selbstgebauten Raku-Ofens, pflegte das Haus und den Garten, lud meine Freunde ein und feierte viele Feste. Nicht selten wurden die Gartenfeste auch zum Kunstevent. Die Stadtgewohnten Besucher wurden hier mit einer besonderen Natur konfrontiert, nicht so gepflegt wie im Stadtpark, aber doch gebändigt. Außer einer Kastanie, einem Walnussbaum und einigen Tannen besteht dieser Garten aus einheimischem Bewuchs. Natürlich wuchert im Lauf der Jahre so ein Gelände zu und muss den Umständen entsprechend ein wenig im Zaum gehalten werden. Der Weiher war am Anfang rundherum unbewachsen, es pflanzten sich Weiden und Erlen an, die stetig größer wurden. Mittlerweile verfällt dieser alte Baumbestand und der Bewuchs wird wieder lichter.

Hase, Relief, Feldband; Gartenhöhle, Videoinstallation

Geangelt wird nicht mehr. Der damals eingesetzte Fischbestand lebt auf natürliche Art fort, gelegentlich lässt sich ein dicker Karpfen blicken. Ursprünglich verliefen vor dem Gelände ein Ackerweg und eine Erntebahn. Mittlerweile ist daraus ein asphaltierter stark frequentierter Rhein-Radweg geworden und die Gleise werden von Büschen und Gräsern überwuchert. Die in der Nähe vorbeilaufende Landstraße ist inzwischen gut befahren und dient als Zufahrt zu einem modernen Kaufhausgroßlager. Vor 15 Jahren wurde in der Blickachse des Sees eine Erdölraffinerie errichtet, deren immerwährende Gasfackel einen markanten Blickfang in der Landschaft bietet, und deren Neonlampen nachts hell die Umgebung erleuchten. Die Bauern fingen an, ihre Felder entweder an die Erdölfirma zu verkaufen oder vermehrt Kies zu schürfen. Die umgebenden Baggerseen wachsen kontinuierlich weiter. Vor zwei Jahren wurde am Rhein in der Nähe ein neuer Damm gebaut, um das Hochwassergefährdete Gebiet und die umliegenden Dörfer besser vor Überschwemmung zu schützen. Nicht zuletzt durch die Kiesseen wandelt sich die Gegend zu einem Naherholungsgebiet für Darmstadt und das Rhein-Main-Gebiet.

Dies alles verändert die Umgebung meines Ortes. Und somit auch dessen besonderen Flair. Jedenfalls fühlen sich die Feldhasen und die Kaninchen trotz der geänderten Bedingungen immer noch wohl in meinem Garten. Sie graben, buddeln und vermehren sich ungehindert. Mittlerweile habe ich gelernt, sie als Mitbesitzer zu tolerieren. Obwohl sie mir immer wieder „Schaden“ zufügen durch die Konstruktion von Bauten unter der Hütte, umbuddeln des Gartens, abnagen jedes noch so kleinen Pflänzchens, das gerade neu gesetzt wurde.

Von den Sprungspezialisten abgesehen bekommt man hier auch Besuch von der Wasserschlange, Salamander, Frettchen, Biber, Wühlmaus, Maulwurf, Wildgans, Haubentaucher, Eisvogel, Pirol, Rohrdommel, Graureiher, Nachtigall, Raubvogel, Fasan.

Am gegenüberliegenden Ortsausgang von Eich entstand parallel zu meinem Gelände vor 40 Jahren die beliebte Wochenendsiedlung „Eicher See“ mit fast mehr Einwohnern als Eich selbst. Zum Glück für mich ist sie weit entfernt. Das Leben der Bauersfamilie in Eich, bei der ich alljährlich meinen Spargel kaufe, verfolge ich seit Anbeginn, mit allen seinen Hochs und Tiefs, harter Arbeit, unterschiedlichen Anbaumethoden, mit wohl auch unvermuteten Wendungen wie dem Schwiegersohn aus Kamerun. Und immer standen sie mir bei, wenn Not am Mann war, wenn das Auto aus dem Schlamm gezogen werden musste oder ich mal wieder einen Kanister mit Trinkwasser benötigte.

Für so manchen städtischen Besucher ist mein Gartenleben ungewohnt: keinerlei Strom, das Kochen auf Flaschengas, Plumpsklo mit Gießkannenspülung, Kerzen als Abendbeleuchtung, die Spinnen, Schnaken und allerlei Kleingetier. Erst seit der Erfindung des Handys gibt es hier ein Telefon. Musikboxen haben wir nie dabei. Diese einfache Idylle hat mein ganzes Leben geprägt und auch das meiner Freunde. Der Ort hat für mich den gleichen Stellenwert wie meine Wohnung in der Stadt. Deshalb ist meine Datsche mein Kokon, mein Zuhause. Die Soundcollagen in der Installation bestehen aus Kommentaren, Gedanken, Erinnerungen meiner Besucher. Sie beschreiben das Für und Wider des Ortes. Einige waren vor langer Zeit regelmäßig zu Besuch, andere erst vor kurzem. Insgesamt ergeben die Aussagen ein lebhaftes Bild des Ortes, ohne dass man tatsächlich Bilder gesehen haben muss. Darüber hinaus sind in der Installation auch einige Fotos aus 40 Jahren versammelt.

Text: Brigitte Kottwitz